Wenn ich abends die Nachrichten sehe, habe ich das Gefühl, die ganze Welt laufe völlig aus dem Ruder: unaufhaltsamer Klimawandel; Parteien, die um ihre eigene Probleme kreisen; Missbrauchsskandal in der Kirche; politischer Rechtsruck in erschreckend vielen Ländern; Fremdenhass; Gewaltausbrüche gegen Helfende wie Feuerwehr, Polizei, neuerdings sogar in Arztpraxen; nicht enden wollende Kriege; immer neue Naturkatastrophen; Politiker, die sich in ihrer Machtbesessenheit absolut setzen; … Nicht nur in der Wirtschaft scheinen Rentabilität und Profit an erster Stelle zu stehen. Besser, schneller, weiter! Ständig erwartete Erreichbarkeit, Flexibilität und (Selbst-)Optimierung treiben immer mehr Menschen an ihre Grenzen und in den Burnout. Die zunehmende Kommunikation über digitale Medien auch im privaten Bereich führt für viele Menschen in die Einsamkeit. Oft denke ich: Was für ein Wahnsinn!
Und gleichzeitig leeren sich die Kirchenbänke. Ich frage mich, ob da nicht ein Zusammenhang zu dieser verrückten Entwicklung der Welt bestehen könnte.
Auch Jesus wird an manchen Stellen der Bibel für verrückt gehalten, weil er in völligem Vertrauen auf Gott anders lebt und handelt, als seine Umwelt es von ihm erwartet – in der folgenden Bibelstelle sogar von seiner eigenen Verwandtschaft:
Jesus ging in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. (Mk 3, 20-21)
Vielleicht braucht die Welt gerade heute mehr Menschen, die im Sinne Jesu verrückt sind – verrückt nach Gott? Im wahrsten Sinne ver-rückt? Die aus einer anderen, einer ver-rückten Perspektive auf das Leben schauen und die Menschen in den Blick nehmen, weil sie versuchen, sich nicht vom Mainstream, sondern von Jesus leiten und von seinem Beispiel inspirieren zu lassen? Als Christ darf ich mir diese Ver-rücktheit leisten, weil ich darauf vertrauen darf, dass Gott mich liebt und mir dadurch eine Würde und einen Wert schenkt, den ich nicht selbst machen kann und muss. Das schenkt mir wachsende Gelassenheit und Freiheit. Und ich darf mich täglich neu dafür entscheiden…
Sr. Silvia-Johanna